Zu laut, zu schmutzig, zu giftig: Produzierendes Gewerbe hatte lange Zeit in der Stadt nichts zu suchen. Dank neuer Technologien hat sich das in den letzten Jahrzehnten drastisch geändert. Die Folge: Handwerk und Industrie zieht es in die Stadt. Erfahre jetzt, warum das Fluch und Segen zugleich ist.
Als vor gut 200 Jahren die ersten Fabriken in den Städten entstanden, wurde das Leben der Menschen dort nahezu unerträglich. Blei und Quecksilber vergifteten Böden und Gewässer, Rauchgase die Atemluft. »Fabriken in Städten sind Verbrechen am Volke.«, fasste es Carl Ludwig Schleich, renommierter Arzt in jener Zeit, zusammen.
»Fabriken in Städten sind Verbrechen am Volke.«
Im Laufe der Jahre verschwanden die Fabriken aus den Stadtzentren. Stadtplaner verlegten Industrie und produzierendes Gewerbe an den Stadtrand oder direkt aufs Land, Gewerbe- und Industriegebiete entstanden. Städtisches Leben wurde angenehm und schließlich sehr attraktiv. Heute leben rund 30 Prozent der Deutschen in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern.
Die Fabrik kehrt in die Stadt zurück
Nun sorgen technische Innovationen dafür, dass in Industrie und Handwerk sehr viel störungsarmer gearbeitet wird als in der Vergangenheit. 3D-Druck, Roboter, neue Fräs- und Zerspanungstechniken sowie die digitale Vernetzung ermöglichen eine leise, platzsparende und emissionsarme Herstellung vieler Produkte.
Solche grünen Fabriken und Manufakturen finden sich plötzlich mitten in der Stadt wieder: Unter dem Begriff Urban Manufacturing erlebt Produktion in der Stadt eine Renaissance. Ein städtischer Standort lohnt sich für produzierendes Gewerbe und Handwerk aus mehreren Gründen.
Unter dem Begriff Urban Manufacturing erlebt Produktion in der Stadt eine Renaissance.
Attraktiv für Fachkräfte
Die örtliche Nähe zu Hochschulen, Kreativen und Tech-Tüftlern fördert die Vermischung und den Austausch der verschiedenen Sparten, was wiederum unweigerlich zu Innovationen führt. Handwerk und Dienstleistung rücken näher zusammen.
Ebenso rückt das Handwerk näher an potenzielle Mitarbeiter. Wenn sich Fabrik, Werkstatt, Supermarkt, Kita und Wohnhaus im selben Viertel befinden, werden handwerkliche Berufe wieder attraktiver. Statt Schmutz und Verletzungsrisiken gibt es flexible Arbeitszeitmodelle.
Stückzahl Eins
Mit neuen Fertigungsverfahren lassen sich automatisch viele Bearbeitungsschritte in einem einzigen Arbeitsgang erledigen. Hinzu kommt eine digitale, programmierbare Steuerung, die eine industrielle Fertigung von Einzelstücken ermöglicht.
Die Produktionsstätte benötigt weniger Fläche, da weniger Maschinen involviert sind. Ebenso lassen sich individuelle Kundenwünsche schnell und preiswert realisieren. Hinten wird produziert, vorne verkauft: Herstellung und Handel können sich eng verzahnen.
Rauf aufs Dach
Die einen träumen von einer lebendigen Stadt, in der Wohnen und Arbeiten harmonisch nebeneinander existieren. Andere sehen zahlreiche Nachteile und Risiken, insbesondere eine herannahende Kostenexplosion. Wenn nun alle in die Stadt drängen, auch Unternehmen, wird die Nachfrage nach Flächen weiterhin stark steigen – und damit die Preise.
Flächenknappheit führt zu höheren Immobilienpreisen und diese wiederum lassen die Fixkosten der Unternehmen in die Höhe schnellen. Architekten und Stadtplaner arbeiten an neuen, flächensparenden Modellen und sehen Produktionsstätten zum Beispiel auf dem Dach.
Produktionsstätte sind zwar wesentlich leiser und sauberer als noch vor 100 Jahren, doch nicht komplett emissionsfrei. Lärmbelästigung, Müllbeseitigung, Überlastung von Verkehrswegen und Ressourcenknappheit sind Probleme, die in einer nutzungsgemischten Stadt gelöst werden müssen.
Ein Beispiel hierfür ist der Handwerkerhof Ottensen. Er liegt mitten in Hamburg. Erfahre im Gespräch mit Initiator Hans, welche Herausforderungen die heutigen Nutzer dafür meistern mussten.
0 Kommentare